Warum machen wir eigentlich, was wir machen? Konkreter: warum bietet die Kulturwerkstatt e.V. Reutlingen seit 1984 in den Bereichen Musik, Computer und Medien Projekte im Rahmen einer Jugendkulturarbeit, Jugendhilfe und Jugendsozialarbeit an? Die Frage erscheint auf den ersten Blick unnötig, da Arbeit, die sozial ist, d.h. ihren Dienst an der Gesellschaft tut, per se immer richtig und wichtig erscheint. Auf den zweiten Blick steckt dahinter allerdings der Anspruch, dass eine Unternehmung, möglichst bevor diese beginnt, ihre theoretischen Grundlagen kennen sollte. Theorien bilden die Voraussetzungen für praktisches Handeln, sind gleichzeitig allerdings nicht unabhängig von der Praxis zu sehen. Es sollte also ein dialektisches, wechselseitiges, wertschätzendes und ergänzendes Verhältnis von Theorie und Praxis bestehen, was allerdings in der Lebenswirklichkeit von Praktiker/innen und Theoretiker/innen bzw. Wissenschaftler/innen häufig missachtet wird. Zu groß erscheinen die Realitäten und Gräben zwischen beiden Welten, was im folgenden Ausspruch pointiert dargestellt wird: Theorie ist, wenn jeder alles weiß, aber nichts funktioniert – Praxis ist, wenn alles funktioniert und keiner weiß warum. Darin schwingen die Klischees der verkopften, realitäts-, lebensfernen und überheblichen Wissenschaft sowie einer ignoranten, eindimensionalen und naiven Praxis kräftig mit. Gleichzeitig wird deutlich, dass eine Spaltung und Abkapselung von Theorie und Praxis am Ende nicht nur nicht befriedigend erscheint, sondern auch zum Scheitern verurteilt ist.
In der Kulturwerkstatt haben wir diese Signale frühzeitig erkannt und von Anfang an darauf hingewirkt, dass wir als System der Praxis fortlaufend eine theoretische Vorstellung unserer praktischen Arbeit entwickeln – und dies insbesondere auch in Kooperation mit dem System der Wissenschaft. Seit 1984 sind dadurch unzählige theoretische Beschreibungen der (jeweils alten und neuen) Angebote in unserer Einrichtung in Form von Praktikumsberichten, Diplom-, Bachelor- und Masterarbeiten oder kleineren Forschungsprojekten entstanden. Gleichzeitig betonen wir in Teamsitzungen einen theoriegeleiteten Diskurs; wenn es also z. B. um die Diskussion neuer Angebotsformate geht, stehen zunächst grundlegende Fragen nach Werten, Ethik oder Gerechtigkeit im Vordergrund um daraus (theoretische) Grundlagen für das eigene Handeln abzuleiten. Bevor es dabei um die eigenen Erfahrungen, Einstellungen und Meinungen der Mitarbeiter/innen geht, wird also, möglichst „neutral“, geprüft, welche Vorstellungen z. B. von Emanzipation (Mollenhauer), Lebenswelt (Thiersch), Lebenslauf (Lowy), gesellschaftlichen Verhältnissen (Staub-Bernasconi), Integration (Sommerfeld) oder Systemen (Ritscher) – in Klammern einige Theoretiker/innen zu den jeweiligen Bereichen – schon im wissenschaftlich/theoretischen Diskurs vorliegen und ob diese an die eigene Arbeitsrealität anschlussfähig sind. Aufgrund dieser Diskussionen (die übrigens weniger „hochtrabend theoretisch“ geführt werden, als hier der Eindruck entstehen könnte und die auch teilweise schon unbewusst in Konzeptionen am Schreibtisch einfließen) können dann praktisch-methodische Ideen für die konkrete Ausgestaltung von Angeboten entstehen.
In den letzten Jahren haben wir außerdem bemerkt, dass ein solches Vorgehen nicht nur als Selbstzweck sinnvoll erscheint: im wachsenden Maße wird Soziale Arbeit Gegenstand von Evaluation. Dabei geht es nicht selten um die (von außen ansetzende) Messung von Wirkungen, um damit auch eine Legitimation der Arbeit zu bestimmen und ggf. (externe) Mittel daran zu bemessen. An dieser Stelle soll es nicht um den Sinn und Unsinn solcher Maßnahmen gehen – sie sind mittlerweile Realität der Sozialen Arbeit geworden. Vielmehr zeigt sich, dass die Evaluation einer Maßnahme zwingend immer auch nach deren theoretischer Grundlage fragt. Oder anders: die Frage, was denn Ziel einer Maßnahme sei (welches dann Grundlage einer Wirkungsevaluation darstellt), kann letztendlich nur theoretisch begründet sein.
Es stellt sich daher als sehr positiv heraus, dass wir von Anfang an diesen theoretischen Diskurs unserer eigenen Arbeit vorangetrieben haben. Übrigens: dass solche Arbeitsabläufe Ressourcen benötigen (insbesondere zur ständigen Weiterbildung aller Mitarbeiter/innen sowie auch zur Gestaltung dieses Prozesses) liegt auf der Hand und führt für die Praxis oftmals dazu, dass hierauf aus Kosten- und Zeitgründen verzichtet wird. Wir hoffen also für die Zukunft darauf, dass auch Geldgeber/innen die Wichtigkeit eines Theoriediskurses in sozialen Einrichtungen erkennen und hierfür Mittel bereitstellen bzw. reservieren. Es lohnt sich letztendlich für die Qualität der Sozialen Arbeit.